Unbeugsame Frau 

Kreszentia (Zenzl) Mühsam

Kreszentia (Zenzl) Mühsam, geb. Elfinger (* 27. Juli 1884 in Haslach in Oberbayern - † 10 März 1962 in Ostberlin) führte bereits in jungen Jahren ein unangepasstes Leben, aufbegehrend gegenüber den herrschenden Machtverhältnissen. War sie zunächst ebenbürtige Gefährtin und verlässliche Verbündete Erich Mühsams bei der Durchsetzung gemeinsamer politischer Ziele, gestaltete sich ihr kämpferisches und tragisches Leben nach der Ermordung ihres Mannes als endlos wirkende Odyssee im Exil, mit dem einzigen Ziel der Rettung und Veröffentlichung des Nachlasses ihres Mannes.
Foto von Kreszentia Mühsam
Bewegte Zeiten in München
Als 5. Kind der Hopfenbauern und Gastwirte Creszentia und Augustin Elfinger wurde Zenzl mit etwa 16 Jahren in München als Dienstmädchen in Stellung gegeben. Sie hielt es meist nur wenige Monate an einer Arbeitsstelle aus, waren diese doch von Pflichterfüllung und Gehorsam geprägt. Doch Zenzl wollte sich nicht ducken. Mit 18 Jahren brachte sie ihren Sohn Siegfried zur Welt. Minderjährig und kaum den eigenen Unterhalt verdienend, musste sie ihn in Pflege geben. Den Namen des Vaters behielt sie zeitlebens für sich. Im Alter von 24 Jahren zog sie, offiziell als seine Hausangestellte, mit dem Maler und Bildhauer Ludwig Engler zusammen, denn eine wilde Ehe war nicht nur sittenwidrig, sondern ein Delikt. Im November 1913 freundete sie sich mit Erich Mühsam an, mit dem sie ein Ziel teilte: die Befreiung der Menschheit von Gewalt und Unterdrückung. Sie heirateten am 15. September 1915 und sie brachte Sohn Siegfried mit in die Ehe. 1918 stand sie an Erichs Seite auf den Barrikaden und rief mit ihm die Münchener Bevölkerung zur Beendigung des Krieges und zur Revolution auf. Nach kurzer Haft kämpfte sie von 1919 - 1924 für die Freilassung von Erich und anderer Räterevolutionäre. In dieser Zeit war sie bereits in der Roten Hilfe aktiv und organisierte außerdem eine Nähstube in München für die Opfer der Hungerkatastrophe 1920/21 in Russland.

Die Zeit in der Hufeisensiedlung
1927 zogen die Mühsams in die Dörchläuchtingstraße 48. Zenzl kümmerte sich um den Lebensunterhalt. Die Künstler und Schriftsteller (Verleger Leon Hirsch, Walter Kiaulehn, Heinrich Vogeler, Eheleute Kubicki) der Hufeisensiedlung trafen sich gerne bei ihnen zu angeregten Gesprächen - aber auch weil Zenzl legendär gut kochte. Ebenso verkehrten Wilhelm Pieck und Herbert Wehner im Hause. Die Nachbarkinder mochten besonders die Katze und Zenzls Kuchen. Sohn Siegfried Elfinger lebte und arbeitete von 1930 bis 1932 ebenfalls im Haus.

Mühsam Grabstein auf dem Waldfriedhof Dahlem.jpg
Verfolgung, Flucht und Exil
Das offene Haus stand ganz oben auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten. Regelmäßig von anonymen Anrufern bedroht, wurden ihnen im Dezember 1932 die Scheiben eingeschlagen. Am 27. Februar 1933, am Tag des Reichstagsbrandes, wurde Erich verhaftet. Zenzl war sehr verzweifelt und die Nachricht verbreitete sich schnell in der Siedlung. Es gelang Zenzl, Erichs Werke in der Nachbarschaft zu verstecken, wie z.B. Notizbücher bei Lena Reichle. Am 10. Juli 1934 wurde Erich von der SS des KZ Oranienburg ermordet. Zenzl forderte eine öffentliche Untersuchung, was sie gleichsam in Gefahr brachte. Es gelang ihr immerhin, die Nazi-Justiz dazu zu bringen, Erichs Leichnam zur Beerdigung freizugeben. Sie wurde gewarnt, dass die Gestapo sie im Anschluss an die Beerdigung Mühsams verhaften wolle. Zur gleichen Stunde floh Zenzl u.a. unter Mithilfe von Margarete Kubicka illegal über die Grenze nach Prag. Dort veröffentlichte sie ihre Broschüre über Erichs Ermordung und bekam daraufhin die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Da die Umstände in Prag schlechter wurden und ihr zudem der KPD-Vorsitzende und vormalige Tischgast Wilhelm Pieck in der Sowjetunion die Veröffentlichung der Werke Mühsams zusicherte, reiste sie in Ermangelung an Alternativen im August 1935 nach Moskau. Nachdem sie den Nachlass Mühsams ins Land geholt hatte, wurde sie im April 1936 unter der Anklage "konterrevolutionärer trotzkistischer Aktivitäten" verhaftet. Was nun begann, war eine fast 20-jährige Leidensgeschichte, in der Verhaftungen, Flucht, Denunziation, Observation, Verbannung und Straflager ihr Leben bestimmten. Erst 1955, nach Stalins Tod, konnte sie nach fast 20 Jahren in die DDR ausreisen. Wie alle Überlebenden des Gulag musste sie hier eine Schweigeverpflichtung unterschreiben. Sie zog nach Ostberlin-Pankow in eine kleine Wohnung und wurde zeitlebens überwacht.

Der lange Weg bis zur Veröffentlichung Mühsams Nachlass
Es gelang ihr, in Moskau Mikrofilmkopien von Mühsams Schriften anzufertigten, die das ZK der SED aber unter Verschluss behielt. Zenzl kämpfte bis zu ihrem Tod um die Veröffentlichung. 1958 durfte eine kleine Auswahl von Gedichten erscheinen. Am 10. März 1962 verstarb sie. Erst nach fast 40 Jahren erschienen 1994 bei dtv erste Mühsam-Tagebücher, bis jetzt nur ca. fünf Prozent des Gesamttextes. Eine Online-Edition, begonnen 2011, wird voraussichtlich bis 2018 mit der kompletten Darbietung der erhaltenen Tagebücher abgeschlossen sein. 1992 wurde ihre Urne in das Ehrengrab von Erich Mühsam auf dem Dahlemer Waldfriedhof überführt.


Quellen:
Uschi Otten: „Den Tagen, die kommen, gewachsen zu sein”. Zur Lebensgeschichte der Kreszentia Mühsam. In: Der Bär von Berlin. Jahrbuch 2001 des Vereins für die Geschichte Berlins. Westkreuz-Verlag, Berlin 2001

Museum Neukölln: Das Ende der Idylle? Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung in Britz vor und nach 1933

nach oben